Warum eingedeckte Pferde ihren Schwung verlieren können

Wer kennt Sie nicht die Winterjacken, die so schlecht sitzen, dass man sich unbeweglich und unwohl fühlt. Im Härtefall hinterlassen Sie sogar am nächsten Tag bei uns Kopfschmerzen. Diese Jacke werden wir aus besagten Gründen nicht mehr tragen. Aber wie geht es unseren Pferden mit unpassenden Decken, die sie den ganzen Tag tragen müssen? Auch deren „Winterjacke“ will mit Bedacht ausgewählt werden. Denn eine nicht passende Decke kann weitreichende Folgen auf die Biomechanik mit sich ziehen, die aber nicht immer offensichtlich sind. In diesem Artikel beleuchten Sarah Mergen, Tierheilpraktikerin und Elisabeth Albescu, bekannte Pferdechiropraktikerin und Tierärztin das Thema Decke aus biomechanischen Blickwinkeln.

Einer der wichtigsten Faktoren beim Deckenkauf, neben Material, Fütterung und Einsatz ist die richtige Größe, die essenziell für die Passform ist. Am sichersten ist es, die korrekte Länge mit Hilfe von einem Stück Schnur zu messen, dass Du vom Widerrist bis zum Schweifansatz anlegst. Hersteller empfehlen beispielsweise für Warmblüter die Größe 135, 145 oder 155 cm. Aber kein Pferd ist gleich und so kommt es bei schmalen oder sehr kräftigen Pferden oft zu Schwierigkeiten in der Passform. Bei filigranen Pferden ist der Halsausschnitt meist zu weit, die Decke rutscht in diesem Fall nach hinten. Dadurch entstehen häufig Scheuerstellen am Bug und der Zug auf Schultergelenk und Brustbein nimmt zu. Das Brustbein besteht aus knöchernen und knorpeligen Anteilen, den vorderen Teil des des Brustbeinknorpel schützt ein Schleimbeutel mittig auf der Brust, hier darf kein Druck entstehen. Auch die am Buggelenk befindliche Bizepssehne samt Schleimbeutel kann durch chronische Belastung mit Entzündung reagieren. Hier ist ein Modell mit angeschnittenen Hals am besten, die Decke liegt dann stabiler.

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Das Gegenteil ist der Fall, wenn Dein Pferd sehr kräftig ist oder einen Hengsthals besitzt, hier ist der Halsausschnitt meist zu klein und die Decke schränkt ein. Die Lösung ist leider nicht die nächstgrößere Größe, denn rutschen darf eine Decke nicht. Die Verletzungsgefahr steigt bei einer zu locker oder schief sitzenden Decke immens. In diesem Fall kann eine Brusterweiterung Erleichterung schaffen. Dieser Zusatz kann zwischen die beiden Schnallen gehackt werden und man erhält damit eine Erweiterung um etwa 20 cm. Zum besseren Verständnis stell Dir vor, Du trägst nur eine Stunde eine Jacke aus stabilem Material mit hochgezogenen Kragen. Durch diese Einschränkung der Bewegung zur Seite werden sich Deine Muskelzüge am Hals verhärten und sich nach kürzester Zeit unbeweglich und schmerzhaft anfühlen. Genau so fühlt sich das Pferd.

Insbesondere die Vorführer der Schultergliedmasse und Heber des Halses, also der M. Rhomboideus (Rautenmuskel) und der M. Brachiocephalicus (Armkopfmuskel) können so in ihrer Funktion stark eingeschränkt werden. Die Folge sind nicht nur Muskelverspannungen im Halsbereich, sondern auch Faserzerreisungen, Entzündungen und Schmerzen. Biomechanisch führt dies zu einer ganzen Reihe Reaktionen des restlichen Körpers. Die Kiefergelenke und das Genick werden in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt, der Vorführwinkel der Vordergliedmasse wird flacher, sensible Strukturen an Brustbein und Widerrist werden schmerzhaft und das Anheben des Brustkorbs ist nur noch schwer möglich. Je länger dieser Zustand anhält, umso mehr Kompensationsmechanismen stören den Ablauf des gesamten Pferdekörpers.

Für Ponys und Westernpferde, die einem tief angesetzten und sehr kräftigen Hals besitzen, sollte man keine Warmblüterdecken verwenden, denn hier ist das Bruststück zu eng und die Decke steht andererseits oben am Hals ab. Hier finden sich am Markt spezielle Westerndecken. Ein Blick in US-amerikanische Shops lohnt sich. Hier findet man eine größere Auswahl an Decken, die genau auf dieses Exterieur zugeschnitten sind. Hersteller haben grundsätzlich darauf geachtet am Widerrist Verstärkungen und Posterungen anzubringen und es gibt Microfaser-Unterzieher, um diesen Scheuerstellen entgegenzuwirken. Aber dies löst keineswegs das Grundproblem, denn das liegt unserer Meinung nach viel tiefer. Die Scheuerstellen sind nur die offensichtlichen Schäden, sensible Strukturen im Widerristbereich und biomechanische Zusammenhänge werden jedoch nachhaltiger beeinflusst. Das bedeutet auch, dass Symptome wie Stolpern, Schleifen, unwilliges Biegen, Probleme bei der Lastaufnahme und beim Angaloppieren die langfristige Folge sein können.

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Kurz in die Anatomie abgeschweift: der Widerrist besteht aus den sehr langen Dornfortsätzen des 3.-7. Brustwirbels, einer Knorpelkappe über den Dornfortsatzenden, einem daraufliegenden Schleimbeutel und dem Nacken–Rückenband. Chronischer Druck auf diese Stelle löst Entzündungen des Schleimbeutels bis hin zu Fisteln aus. Durch den Druck und Ausgleichhaltungen des Pferdes drückt sich der Brustkorb nach unten weg. Dabei kommt es zu Blockaden im cervicothorakalen Übergang und Verspannungen in der Schultergürtelmuskulatur. Der Axthieb am CTÜ wird durch die Absenkung des Brustbeins und eventuell auch dem Abbau vom M. Spinalis deutlicher. Auf Dauer werden auch bei der Lastenaufnahme in der Hinterhand Defizite entstehen, da das Anheben der Vorhand eingeschränkt ist. Deshalb sollten Reiter sehr gut auf den Sitz der Decke achten und die richtige Decke für das jeweilige Pferd anschaffen.

Um die Schäden, die eine schlechtsitzende Decke bereits verursacht hat, auszugleichen, können Gymnastik-Übungen um angespannte Muskelpartien zu lockern, leicht ins tägliche Training eingebaut werden. Zum Lösen der Schultermuskulatur bieten sich Triggerpunktbehandlungen an (fragt euren manuellen Therapeuten). Einzelne Schrittstangen, aus unterschiedlichen Winkeln und in verschiedenen Tempi gymnastizieren den Schultergürtel. Auch Rückwärtsrichten (über eine Schwelle oder Stange), Schulterherein und die altebewährte Karottenübung sind sinnvoll.